In der Küche des Gemeindehauses sind alle Blicke auf ihn gerichtet. Roed ist als Dolmetscher im Einsatz und verzweifelt gerade ein bisschen: "Er spricht arabisch, kurdisch, englisch - alles durcheinander", macht der Elfjährige seinem Herzen Luft und kann dann doch ein Missverständnis klären. Alle sind dankbar, Roed lächelt stolz und flitzt in die obere Etage zur Kinderbetreuung. Heute ist Familientreff in der St. Petri-Gemeinde in Langen - und da sind die, deren Muttersprache Deutsch ist, in der Minderheit.
"Seit 2015 gibt es dieses Angebot, das auf Initiative der damaligen Ortsbürgermeisterin Rotraud Keßler entstanden ist", erklärt Wiebke Rösner. Die Ehrenamtliche ist seit 2016 dabei. Heute sitzt sie gemeinsam mit Ulla Huntemann-Clasen und Fatma (31) und Kanan (48) um den Tisch. "Deutschkurs für Asylbewerber" steht auf dem Heft, mit dem die beiden Langenerinnen der vierfachen Mutter Fatma - eine Kurdin aus dem Irak - und dem Familienvater Kanan aus Syrien erste Sprachkenntnisse vermitteln. "Wir machen hier den allersten Anfang", betont Ulla Huntemann-Clasen. "Das ersetzt keinen Deutschkurs." Aber der Familientreff sei eine wichtige Anlaufstelle für Menschen, die neu nach Deutschland kommen. Wie aufs Stichwort holt Fatma, die seit zwei Jahren hier lebt, aus ihrer Handtasche mehrere Bögen Papier. "Operation", sagt sie besorgt und reicht das Schreiben an Ulla Huntemann-Clasen weiter. Jeden Dienstagnachmittag Menschen treffen zu können, die unbürokratisch Fragen beantworten und schnell Hilfe anbieten, kommt neben der Sprachvermittlung eine große Bedeutung zu.
Wiebke Rösner hat in den vergangenen Jahren bereits einige Familien bei Behördengängen begleitet. "Dadurch ist zu vielen ein nettes Verhältnis entstanden. Es macht mir viel Spaß." Nachdem eine albanische Familie ausgewiesen wurde, hat die Rentnerin diese bereits viermal in deren Heimat besucht. "In diesem Sommer kommen sie auf einen Besuch nach Langen zurück."
Während es in der Küche weitergeht mit Heft und Stift, wird auch im Saal und im Bistro nebenan intensiv gearbeitet. Jeweils ein Ehrenamtlicher lernt mit zwei, drei "Schülern" zusammen. Diese kommen aus dem Iran, Irak, aus Syrien und Libyen, aus Turkmenistan, Somalia und aus der Ukraine. "Es haben sich feste Grüppchen gebildet, die jetzt jeden Dienstag zusammenarbeiten", sagt Almut Berndt. Die Pastorin hat beim Familientreff einen ganz besonderen Job: Sie vermittelt Fahrräder. Diese sind vor allem bei den aus der Ukraine Geflüchteten begehrt. "Als wir gefragt haben, was sie konkret benötigen, war ein Fahrrad der größte Wunsch." Damit seien die Familien unabhängiger. Die gebrauchten Drahtesel, die auch an diesem Nachmittag den Besitzer wechseln, wurden entweder gespendet oder kommen von "Rad-Bolli": Frank Bollhorst aus Debstedt handelt mit gebrauchten Rädern aller Größen und Farben. "Wir sind heilfroh, dass wir mit ihm zusammenarbeiten, weil es sehr unkompliziert ist", sagt die Pastorin. Finanziert werden die Räder aus Spenden.
"Auto!", ruft das kleine Mädchen mit den zwei Zöpfchen und zeigt auf den Wagen aus Holz: Auf dem Spielplatz des Kindergartens "Arche Noah", der im Gemeindehaus integriert ist, wird ganz nebenbei Deutsch gelernt. "Ja, das ist ein Auto", bekräftigt Gabriele Benker. Sie engagiert sich in der Kinderbetreuung. Während sie und weitere Ehrenamtliche mit den Mädchen und Jungen spielten, könnten die Eltern in Ruhe Deutsch lernen. "Ich finde das ganze System des Familientreffs toll. Und wo kann ich sonst noch Gummibärchen essen?", fragt Gabriele Benker lachend.
Auch Roed ist hier ganz in seinem Element und buddelt im Sandkasten. Als er nach anderthalb Stunden mit seiner Mutter das Gemeindehaus wieder verlässt, winkt Almut Berndt ihm noch eimmal zu und ruft: "Danke!" Der Viertklässler reißt den Arm hoch, winkt zurück und strahlt.
Wiebke Rösner (von links), Ulla Huntemann-Clasen, Fatma und Kanan beim Deutschlernen in der Gemeindehaus-Küche in Langen. Foto: Schröder